Die Welt kann nur durch uns enttrümmert werden.

WIR SIND DIE MALER DER ZUKUNFT!

Gruppe SPUR, Manifest, 1958

Komitee SPUR

Gruppe SPUR, 1960, fotografiert von Christel Fischer (v.li.n.re. Lothar Fischer, Heimrad Prem, HP Zimmer, Helmut Sturm)

Vor fast 60 Jahren tat sich in München im Jahre 1957 mit der Künstlergruppe SPUR eine der bedeutendsten deutschen Künstlergemeinschaften nach 1945 zusammen und begründete vor Ort eine Tradition, die bis in die 80er Jahre anhalten sollte. Die vier SPUR-Protagonisten, der Bildhauer Lothar Fischer (1933-2004) und die Maler Heimrad Prem (1934-1978), Helmut Sturm (1932-2008) und HP Zimmer (1936 -1992) ließen durch ihre kunstpolitisch provokanten Aktivitäten, durch die Verbreitung von Flugblättern und Manifesten sowie durch die Herausgabe ihrer sieben Zeitschriften Staat und Justiz in Bayern heftig reagieren. Doch trug die Gruppe SPUR gerade auch dadurch maßgeblich zur künstlerischen Aufbruchstimmung im Deutschland der 60er Jahre bei. In ihrem 1959 erschienenen Text Über unsere Malerei schreibt die Gruppe: »Wir fassen alle wesentlichen Strömungen der Malerei in einem System zusammen. Wir sind nicht nur abstrakt, sondern auch gegenständlich. Wir besitzen eine abstrakte Methode, die uns ermöglicht, gegenständlich zu sein. Die Formen und Gegenstände, die der persönlichen Vorliebe des Einzelnen entspringen, verflechten sich mit dem abstrakten System.« In der Auseinandersetzung mit dem Werk Wassily Kandinskys, dem Bildaufbau des Kubismus, dem Malprozess des Informel sowie der Beschäftigung mit dem Schaffen Max Beckmanns und der Dynamik des barocken Bildraums finden die Künstler zu einer höchst eigenständigen, spannenden Bildsprache, die Figuratives mit Abstraktem verbindet. Gruppenpolitisch bewegte man sich in einem offenen Feld. Immer wieder gab es mehr oder weniger intensive Kontakte zu anderen Künstlern und Intellektuellen auch im internationalem Kontext der Situationistischen Internationalen um Guy Debord und Asger Jorn. Dieter Kunzelmann, der von 1960 bis 1962 der SPUR angehörte und später die Kommune 1 gründen sollte, befeuerte als „schreibendes“ Mitglied den revolutionären Geist der Gruppe.1965 tat man sich mit der 1959 in München gegründeten Gruppe WIR zusammen und gründete 1966 die Gruppe GEFLECHT.

 

Zeittafel

  • 1952
    erster Kontakt zwischen Heimrad Prem, Helmut Sturm und Lothar Fischer an der Akademie der Bildenden Künste, München
  • 1957
    erster Kontakt zu HP Zimmer
    Bildung einer Ausstellungsgemeinschaft, der außerdem u.a. Erwin Eisch, Dieter Rempt, Josef Senft (= J.K.S. Hohburg) und Gretel Stadler angehören
  • 1958
    Herausgabe des ersten SPUR-Manifests, unterzeichnet von Prem, Zimmer, Eisch, Sturm, Fischer, Jorn, Rempt, Britt und Stadler
    Herausgabe der SPUR-Grafik-Mappe mit Beiträgen von Eisch, Fischer, Prem, Rempt, Sturm und Zimmer
  • 1959   
    "Bense-Skandal" anlässlich der Ausstellung Extremisten-Realisten
    Aufnahme der SPUR in die Situationistische Internationale (S.I.) anlässlich der 3. Konferenz der S.I. in München
  • 1960
    Erste Ausgabe der Zeitschrift SPUR (August)
    Teilnahme an der 4. Konferenz der S.I. in London
    Herausgabe von SPUR 2 und SPUR 3 (Sept. und Dez.)
    Austritt von Eisch und Stadler
    Erster Kontakt zu Dieter Kunzelmann
    Kontakt zu der niederländischen Malerin Jacqueline de Jong
  • 1961
    Herausgabe des Januar- bzw. Gaudi-Manifests anlässlich der Ausstellung Engagierte Kunst im Kunstverein München
    Herausgabe von SPUR 4 Die Verfolgung der Künstler (Januar)
    Herausgabe des Flugblatts Avantgarde ist unerwünscht anlässlich einer Konferenz in den Münchner Kammerspielen
    Herausgabe von SPUR  5 Spezialnummer über den unitären Urbanismus  (Juni)
    Aufenthalt in Schweden bei Jorns Bruder Jørgen Nash in Schweden
    Herausgabe von SPUR 6 SPUR im Exil (August)
    Teilnahme an der 5. Konferenz der S.I. in Göteburg
    Reise zu Paolo Marinotti nach Vittorio Veneto/Italien
    Herausgabe der in Italien entstandenen SPUR 7 Album per disegno (Oktober)
    Beschlagnahmung der SPUR-Zeitschriften 1- 6 durch die Münchner Staatsanwaltschaft
    Kontakt zu dem angehenden Maler Uwe Lausen
    S.I.-Filmprojekt "So ein Ding muss ich auch haben", u.a. mit Jørgen Nash, Jacqueline de Jong und Maurice Wyckaert
  • 1962
    Herausgabe des SPUR-Buchs mit allen sieben Ausgaben der Zeitschrift SPUR, der SPUR-Historie sowie einigen Manifesten
    Ausschluss aus der S.I. (Februar)
    Erster SPUR-Prozess vor dem Amtsgericht München gegen Kunzelmann, Prem, Sturm und Zimmer wegen Gotteslästerung, Religionsbeschimpfung und Verbreitung unzüchtiger Schriften (Mai)
    Trennung Kunzelmanns von der Gruppe
    Zweiter SPUR-Prozess mit entlastenden Gutachten von Joachim Kaiser, Werner Haftmann, Walter Jens und Josef Oberberger. Für Kunzelmann, Prem und Zimmer Verringerung des Strafmaßes auf fünf Wochen auf Bewährung. Freispruch für Sturm (November)
  • 1963
    Ausmalung des Esszimmers in Willi Bleichers Landhaus in der Nähe von München
    Gemeinschaftsarbeit Canal Grande Crescente anlässlich der Schau Visione Colore im Palazzo Grassi in Venedig
    Konzeption eines utopischen Architekturentwurfs (SPUR-Bau), anlässlich der Troisième Biennale de Paris
  • 1965
    Kontakt zur Gruppe WIR (Helmut Rieger, Florian Köhler, Heino Naujoks, Hans Matthäus Bachmayer, Reinhold Heller) anlässlich des Augsburger Frühjahrssalons. Ab April punktuelle Zusammenarbeit
    Im April letzte gemeinsame, mehrere Tage andauernde Malaktion der SPUR-Künstler (Mal-Spiel)
    Im Mai Festlegung der Grundsätze für eine gemeinsame Arbeit mit der Gruppe WIR
  • 1966
    Bildung von unterschiedlichen Künstler-Teams, die zusammen an dreidimensionalen Antiobjekten arbeiten
    Distanzierung Prems und Fischers vom Gruppengeschehen
    Gründung der Gruppe GEFLECHT, die im September in der Galerie van de Loo erstmals ihre Antiobjekte präsentieren
     

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1957
    Atelierschau der Gruppe junger Künstler aus München und Berlin, Pavillon Alter Botanischer Garten, München (erste Ausstellung der späteren SPUR-Mitglieder zusammen mit anderen Künstlern)
  • 1958
    Galerie Malura, München (erste SPUR-Ausstellung)
  • 1959
    Extremisten-Realisten, Berufsverband Bildender Künstler, München (Beteiligung)
  • ab 1959
    Galerie van de Loo, München (1962, 1965, 1979 (Kat.), 1986)
  • 1960
    Junge deutsche Kunst, Ulmer Museum, Ulm (Beteiligung)
    Galerie van de Loo, Essen
  • 1962
    Graphisches Kabinett Dr. Hanna Grisebach, Heidelberg
    XVIII. Salon de Mai, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (Beteiligung)
  • 1963
    Visione Colore, Palazzo Grassi, Venedig (Beteiligung)
  • 1964
    Junge deutsche Kunst der Gegenwart, Salon Comparaisons, Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris / Kunstverein München (Beteiligung)
    documenta III, Kassel (Einzelwerke von Heimrad Prem und Lothar Fischer)
    Galerie Osborne, New York
  • 1965
    Augsburger Frühjahrssalon (Beteiligung)
  • 1980
    Galerie Rothe, Heidelberg
  • ab 1981
    Galerie Georg Nothelfer, Berlin (1987, 2002)
  • 1983
    CoBrA, SPUR, WIR, GEFLECHT, KOLLEKTIV HERZOGSTRASSE, Galerie am Ganserhaus, Wasserburg u. a. (Kat.)
  • 1985
    Galerie von Loeper, Hamburg
  • 1986
    Städtische Galerie Regensburg (Kat.)
  • ab 1987
    Galerie Christa Schübbe, Mettmann/Düsseldorf (1991 Kat., 2003 Kat., 2006)
  • 1989
    La Galerie Condè du Goethe-Institut, Paris
    Galerie Sander, Darmstadt
  • 1991
    Eröffnung des Museum SPUR, Cham
  • 2003
    Galerie Marie-José van de Loo, München
    Saarland Museum Saarbrücken (Kat.)
  • 2004
    Peter und Gudrun Selinka Stiftung, Ravensburg
  • 2006
    Retrospektive Museum Villa Stuck, München u. a. (Kat.)
  • 2010
    SPUR-Raum anlässlich der Jahresgaben-Ausstellung im Kunstverein München
  • 2013
    Kunsthalle zu Kiel (Kat.)
    Sammlung Hurrle, Durbach (Kat.)
  • 2015
    Neupräsentation der Sammlung Kunst nach 1945 der Städtischen Galerie im Lenbachhaus (Kat.)


Publikationen

Jo-Anne Birnie Danzker und Pia Dornacher (Hrsg.), Gruppe Spur, Ausst.-Kat. Museum Villa Stuck, München, Museum Lothar Fischer, Neumarkt i.d. OPf., Kunsthalle St. Annen, Die Lübecker Museen, Hansestadt Lübeck, Ostfildern 2006

Ilonka Czerny, Die Gruppe SPUR (1957 - 1965). Ein Künstlerphänomen zwischen Münchner Kunstszene und internationalem Anspruch, Wien, Berlin, Münster 2008

Wolfgang Dreßen u.a. (Hrsg.), Nilpferd des höllischen Urwalds. Spuren in eine unbekannte Stadt- Situationisten, Gruppe SPUR, Kommune 1, Ausst.-Kat. zur gleichnamigen Ausstellunge des Werkbund-Archivs Berlin, Martin-Gropius-Bau, Gießen 1991

Axel Heil für Museum für Aktuelle Kunst - Sammlung Hurrle Durbach (Hrsg.), Gruppe SPUR, Vagabundierende Unruhe, Ausst.-Kat., Durbach 2013

Richard Hörner, Die Gruppe SPUR: politische Manifeste einer Künstlergruppe, Wörth am Rhein 2005

Anette  Hüsch und Dörte Zbikowski (Hrsg.), Dritte Welle. Die Gruppe SPUR, der Pop und die Politik, Ausst.-Kat. Kunsthalle zu Kiel, Köln 2013

Veit Loers (Hrsg.), Gruppe SPUR 1958-1965 Lothar Fischer, Helmut Sturm, Heimrad Prem, HP Zimmer, Ausst.-Kat. Städt. Galerie Regensburg, Regensburg 1986

Galerie van de Loo (Hrsg.), Gruppe SPUR. Eine Dokumentation, Ausst.-Kat. Galerie van de Loo, München 1988 (2. Aufl., 1. Aufl. 1979)

Matthias Mühling, Eva Huttenlauch - Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München (Hrsg.), GRUPPE SPUR Edition Lenbachhaus Nr. 2, München 2015 

Roberto Ohrt, Phantom Avantgarde. Eine Geschichte der Situationistischen Internationale, Hamburg 1990

Roberto Ohrt, Ein kultureller Putsch. Manifeste, Pamphlete und Provokationen der Gruppe SPUR, Hamburg 1991

Florian Rötzer, „Soziale Phantasie. Gruppen in München“, in: Kunstforum International, Bd. 116, Köln 1991, S. 151-207

Christa Schübbe (Hrsg.), Gruppe Spur 1958 – 1965. Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm, HP Zimmer, Ausst.-Kat. Galerie Christa Schübbe anlässlich der Art Cologne, Mettmann, Düsseldorf 2003

Christa Schübbe (Hrsg.), Gruppe Spur 1958 – 1965. Lothar Fischer ..., Ausst.-Kat. Galerie Christa Schübbe anlässlich der Art Cologne, Mettmann, Düsseldorf 1991

Nina Zimmer, SPUR und andere Künstlergruppen. Gemeinschaftsarbeit in der Kunst um 1960 zwischen Moskau und New York, Berlin 2002